Netzneutralität in Mobilfunknetzen ‒ Ein Erfahrungsbericht [en]

Heute will ich ein paar Aspekte des weiten Themengebiets Netzneutralität anhand konkreter Erlebnisse illustrieren. Ich hole dazu ein wenig weiter aus.  Wer sich nur für den Kern der Sache interessiert kann folgenden Prolog gern überspringen.

Prolog

In letzter Zeit hatte ich oft das Gefühl, dass der Internetzugang meines Mobiltelefons ein bisschen lahm ist. Ich habe einen Flatrate-Vertrag bei o2, dessen Geschwindigkeit nach 1GB pro Monat ein gedrosselt wird. Ich nahm also an, ich hätte dieses Datenkontingent bereits überschritten.

Leider wurde ich nicht darüber informiert, und ich konnte auch keine bequeme Möglichkeit finden, meinen Datenverbrauch zu überprüfen, z.B. auf der o2 Website. Ich rief also beim Kundendienst an, um der Sache genauer nachzugehen. Nach ca. 30 Min. in der Warteschleife (ich wurde vorher von einer automatischen Ansage gewarnt) und einer kurzen Erläuterung der Situation wurde ich an einen relativ kompetenten Mitarbeiter einer Supportabteilung für Datendienste weitergeleitet.

Dieser konnte mir mitteilen, dass mein Datenkontingent für den laufenden Abrechnungszeitraum noch nicht ausgeschöpft war ‒ ich hatte erst 200MB verbraucht. Ich erfuhr auch, dass mich o2 bei Erreichen des 1GB Limits per SMS darüber informieren würde. So eine SMS hatte ich noch nie bekommen, am Datenkontingent konnte es also nicht liegen.

Auch andere Probleme (z.B. mit Hardware, Software oder Einstellungen) hakten wir der Reihe nach ab. Der o2-Mitarbeiter konnte wohl sogar die UMTS-Abdeckung an meinem Standort prüfen, und meinte diese sei ausreichend. Ohnehin fühlt sich meine Internetverbindung oft noch langsamer an, als man es selbst von GPRS erwarten würde, das praktisch überall vorhanden ist.

Netzneutralität bei o2

Irgendwann im Laufe des Gesprächs erwähnte ich dann, dass es sich besonders langsam anfühlt, wenn ich die Datenverbindung für mein Notebook nutze ‒ ich mache das über das WLAN Tethering das in Android 2.2 eingebaut ist. Der o2-Mitarbeiter wies mich dann erstmal darauf hin, dass eine solche Nutzung meinem Vertrag widerspricht. Und tatsächlich fand ich folgende Fußnote in in der Produkt-Beschreibung des o2 Internet-Pack-M plus:

Datenvolumen darf ausschl. mit einem Handy, nicht jedoch mit einem ans Handy oder sonst angeschlossenen oder drahtlos verbundenen Computer genutzt werden.

Es könnte also sein, dass mein Zugang auf Grund dieser vertragswidrigen Nutzung zusätzlich gedrosselt wurde. Neben der technischen  Frage wie die Netzwerkinfrastruktur von o2 meine  missbräuchliche Nutzung erkennen konnte, frage ich mich vor allem, ob eine solche Vertragsklausel überhaupt zulässig ist? Auf jeden Fall verstößt sie gegen das Konzept der Netzneutralität, das in interessierten Kreisen zur Zeit hitzig diskutiert wird.

Es gibt derzeit in Deutschland noch keine gesetzlichen Regelungen, die Netzneutralität vorschreiben. So mag der Laie nun fragen, was ich überhaupt gegen obige Regelung einzuwenden habe? Es muss doch wohl legitim sein, dass ein Dienstleister eigene Nutzungsbedingugnen vorgibt?

Der Punkt ist, dass derartige Regelungen zutiefst dem Geist des Internets widersprechen. Auf technischer Ebene sind zunächst alle Rechner im Internet (z.B. mein Notebook, mein Mobiltelefon, der Server auf dem dieser Blog läuft, die Server auf denen Facebook läuft, dein Computer, ein DSL-Router, …) zunächst gleichberechtigt. Sie unterscheiden sich aus Netzwerksicht vor allem durch die Qualität ihrer Datenverbindung zu benachbarten Rechnern. Der Inhalt des Datenverkehrs zwischen einzelnen Rechnern oder die Art und Weise, wie diese Daten weiterverarbeitet werden, sind dabei zunächst unerheblich. (Zumindest solange sich die beteiligten Rechner an die einschlägigen technischen Standards halten, insbesondere an das Internet Protokoll IPv4 bzw. IPv6.) Dies wird treffender Weise als “Ende-zu-Ende-Prinzip” bezeichnet.

o2 bewirbt nun sein Internet-Pack-M plus ausdrücklich mit dem Begriff Internetzugang. Also erwarte ich als Kunde, dass die eben skizzierten Grundsätze des Internets nicht auf derartige Weise beschnitten werden. Der Netzwerkinfrastruktur von o2 sollte es egal sein, welche Datenpakete es zwischen meinem Mobiltelefon und dem Rest des Internets hin und her leitet. Es sollte o2 daher auch egal sein, ob ich das Telefon dazu anweise diese Datenpakete an mein Notebook durch zu leiten oder auch nicht!

Um es mal ein wenig militanter zu formulieren: Selbst wenn ich mich entschließen sollte, dass ich hinter meinem Telefon ein zweites Internet mit Millionen von Rechnern aufbauen will, und dass deren einzige Verbindung zum eigentlichen Internet über die Daten-Flatrate von o2 laufen soll, dann geht das o2 einen feuchten Sch%$ß@$%#* an!!!

Die Grenze zu einer derartigen Nutzung ist ohnehin schwer zu ziehen. Was sagt o2 dazu, wenn ich ihren Internetzugang dazu nutze, um ein Radioprogramm zu streamen, und dies über meine Bluetooth-Kopfhörer (in gewisser Weise ein eigenständiger Computer!) anhöre? Oder wenn ich alberner Weise Web-Inhalte auf dem Display meines Telefons mit einem anderen Gerät abfotografiere? Selbst wenn man eine Einschränkung des Internetzugangs auf ein einziges Gerät grundsätzlich akzeptieren würde, gäbe es etliche Grauzonen. Meiner Meinung nach sollten wir uns gar nicht erst auf derartige Diskussionen einlassen, und auf vernünftige und verbindliche Regelungen zur Netzneutralität pochen!

Obwohl die Eckpunkte der Netzneutralität recht allgemein gefasst sind, konzentriert sich die aktuelle Debatte vor allem auf wirtschaftliche Aspekte und auf die Sicht von gewerblichen Dienstanbietern. Oder sie greift diejenigen Fälle auf, bei denen die missachtung von Netzneutralität so weit geht, dass sie konkrete Einschränkungen der Meinungsfreiheit mit sich bringt. Meine Erfahrungen mit Daten-Diensten bei o2 zeigen, dass mangelnde Netzneutralität auch zu einem ganz konkreten Ärgernis für jeden gewöhnlichen Konsumenten werden kann!

Netzneutralität bei anderen deutschen Mobilfunkanbietern und im Festnetz?

Dabei ist es im direkten Vergleich mit den Mitbewerbern bei o2 sogar noch relativ gut um die Netzneutralität bestellt. Bei den beiden Daten-Diensten der Platzhirschen Vodafone und T-Mobile ist es bis heute üblich, dass bestimmte Anwendungen und Protokolle bewusst blockiert werden. Nicht etwa, weil sie der Netzwerkinfrastruktur Probleme bereiten, sondern weil sie bessere Alternativen zu überteuerten und unflexiblen Dienst-Angeboten der Mobilfunkanbieter selbst darstellen.

[Update] Hier noch ein kurzer Artikel zu den Regelungen zur Netzunneutralität bei E-Plus [/Update]

Hiervon sind in erster Linie Internet-Telefonie-Dienste wie SIP oder Skype betroffen. Aus Sicht der Netzneutralität sind die Daten, die solche Dienste über die Mobilfunktnetze austauschen, nicht von den Daten einer beliebigen Website oder einer E-Mail zu unterscheiden. Allerdings stellen Sie für die Mobilfunkanbieter eine Konkurenz im eigenen Netz dar, und werden durch technische Filtermaßnahmen und durch Regelungen im Kleingedruckten unterbunden. Immerhin gibt es hierzulande erste juristische Entscheidungen, die es verbieten derart verkrüppelte Datendienste als “Freien Internetzugang” anzupreisen.

Im deutschen Festnetz ‒ z.B. bei DSL-Anschlüssen ‒ war es bisher ein wenig besser um die Netzneutralität bestellt. Aber auch hier gab es schon zahlreiche merkwürdige Auswüchse. Sorry, habe gerade keine passenden Links zur Hand.

Fazit

Und was werde ich nun bezüglich meines konkreten Problems mit o2 unternehmen? Nun, erst mal abwarten… Nach dem Gespräch mit dem o2-Techniker, bin ich mir nicht mal sicher, ob meine Verbindungsprobleme tatsächlich mit einer bewussten Drosselung zusammenhängen. Wahrscheinlich ist es doch eher der stellenweise eher mäßige Netzausbau.

Ich bin mir nicht mal sicher, ob o2 anhand meines Datenverkehrs überhaupt erkennen kann, dass ich die Datenverbindung mit meinem Notebook teile. Meinem Verständnis nach führt die Android Software auf meinem Mobiltelefon eine Art NAT durch, was im Regelfall aber keine Spuren in den durchgeleiteten IP-Paketen hinterlassen sollte. Ich könnte mir höchstens vorstellen, dass sich o2 die Anwendungsdaten anschaut, und nach bestimmten Heuristiken (z.B. Browser-Kennungen) entscheidet, ob die Daten von einem anderen Rechner stammen.

Es wäre aber schon ziemlich dreist, wenn o2 so tief in meinen Datenverkehr reinhorchen würde. Nun ja, in diesem Fall bliebe mir immer noch, mein Telefon anzuweisen, sämtlichen Datenverkehr durch ein VPN (oder durch Tor) zu routen. Mal sehen, ob es da passende Software für Android gibt…

Unabhängig von den praktischen Auswirkungen bleibt noch die Frage wie die Sache juristisch zu beurteilen ist. Ich habe ja schon zum Ausdruck gebracht, dass es meinem Rechtsempfinden nach eine Frechheit ist, eine Dienstleistung einerseits als Internetzugang zu bewerben, dann aber im Kleingedruckten derart blödsinnige Einschränkungen durchdrücken zu wollen. Ich habe aber sicher keine Muße die Sache juristisch klären zu lassen.

Obwohl interessant wäre es schon: Ich habe nämlich vor Abschluss des Datenvertrags im Sommer dieses Jahres alle Optionen ausführlich mit einem Mitarbeiter im örtlichen o2 Laden besprochen. Dabei kam ich sicherlich auch auf meine Absicht zu sprechen, meinem Notebook gelegentlich übers Mobiltelefon Internetzugang zu verschaffen. Auf mögliche vertragliche Hinderungsgründe wurde ich dabei meiner Erinnerung nach nicht aufmerksam gemacht.

Dazu passt auch, dass mir der Techniker von o2 erzählte, dass die Klausel bezüglich der ausschließlichen Nutzung mit dem Mobiltelefon erst vor einigen Monaten in die Datenverträge aufgenommen wurde. Besonders amüsant war seine Begründung für diesen Schritt: Es hätten sich zu viele Notebook-Nutzer beim o2-Kundendienst beschwert, dass Ihr monatliches Datenkontingent zu schnell aufgebraucht war. Es hätte sich dann meistens herausgestellt, dass ihre Notebooks des öfteren im Hintergrund riesige Windows-Updates o.ä. gezogen hätten m(

Na toll, der ganze Ärger also am Ende nur, weil meine Mitkunden zu blöd sind um ihre Datennutzung unter Kontrolle zu halten?

Update: Hier noch eine sehr schöne (engl.) Zeittafel zum Thema Netzneutralität.

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